ESSAY-BRIEF

Essay-Brief August 2015

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Allein-Sein und Alleins-Sein

© Bernd Helge Fritsch

„Luise“, eine Leserin meiner Essaybriefe, hat mich gefragt ob ich bereit sei einen Brief zum Thema „Einsamkeit und Alleinsein“ zu gestalten. Sie schrieb mir dazu ein anregendes Mail, welches ich hier unverändert wieder gebe:

„Ich interessiere mich deshalb für das Thema Einsamkeit/Alleinsein, weil es mich in den letzten Monaten sehr beschäftigt hat und viele Ängste in mir aufkommen ließ. Bedingt durch meine chronische Krankheit habe ich schon immer ziemlich zurückgezogen gelebt und hatte/habe nur wenig soziale Kontakte, auch keinen Partner oder Kinder.

Eigentlich kann ich sehr gut alleine sein und brauche auch viel Zeit für mich, um z.B. meine Kreativität leben zu können. Ich bin sicherlich das, was man eher eine Einzelgängerin nennen würde. Dennoch fühle ich mich in letzter Zeit zunehmend einsam und verlassen, habe auch Angst vor totaler Einsamkeit in der Zukunft. Davor, dass ich niemanden habe, der mich unterstützt und für mich da ist, dem ich vertrauen kann, etc. Ich glaube, dass mir auch der Austausch mit Gleichgesinnten fehlt. Allerdings: Sicher bin ich nicht, was sich tatsächlich hinter diesem Gefühl der "Einsamkeit" verbirgt.

Mir ist es schon immer schwer gefallen, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen. Seit vielen Jahren grüble ich, warum das so ist. Ich denke, es hat damit zu tun, dass ich mich immer verstellt, versteckt und geschämt habe, niemals wirklich ich selbst gewesen bin.

Was mir wichtig ist: Ich würde gerne lernen, ohne Angst vor Einsamkeit leben zu können - ohne andere Menschen für mein Glück zu "brauchen", ohne mich von der Zuneigung und dem Interesse anderer abhängig zu machen. Mit mir selbst in Harmonie zu leben, mich auf mich selbst verlassen zu können. Einfach ich sein zu dürfen, so wie ich bin. Macht das Sinn?“

 

Das Ego ist immer einsam und verlassen

Es gibt kaum einen Menschen der sich nicht gelegentlich allein, verlassen, verletzt oder unverstanden fühlt. Auch Menschen die in eine Familie eingebunden sind, die beruflich oder privat mit vielen Leuten in Kontakt stehen fühlen sich einsam, weil sie erfahren müssen wie jeder in seiner eigenen Gefühls- und Gedanken-Welt lebt und wie schwer es ist diese Schranken zu überwinden.

Die Lebenssituation von Luise zeigt, dass sie sich für ihr jetziges Leben ein besonderes „Lern-Programm“ ausgesucht hat. Allerdings, wie sie ihre Schwierigkeiten, ihre Ängste und auch ihre daraus gewonnenen Einsichten beschreibt zeigt, dass sie auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und Selbstbefreiung bereits ziemlich weit fortgeschritten ist.

Die meisten Menschen empfinden ihr Leben als schwierig, kompliziert, voller Gefahren und Unsicherheiten. Oft leben sie in der Illusion, dass es ihnen besser gehen würde, wenn sie einen idealen Partner, ein harmonisches Familienleben, einen kompetenteren Chef, genügend Geldmittel und mehr Freizeit hätten. Oft besteht ihr Leben vorwiegend aus der Suche nach besseren Lebensumständen oder sie haben resigniert und sich mit der scheinbaren Bedeutungslosigkeit und Unvollkommenheit ihres Daseins abgefunden.

Die meisten  Menschen sind sich ihres Seelenzustandes nicht bewusst. Tunlich vermeiden sie es in sich selbst hinein zu schauen. Sie meiden die innere Stille die dazu erforderlich ist und fürchten sich unbewusst vor ihrer Selbstbegegnung.

Jeder entwickelt seine eigene Strategie um mit seinen Ängsten, seinen Sorgen, seinen noch aktiven oder schon zerstörten Illusionen zurecht zu kommen. Sehr beliebt sind rastloses Werken, da und dort hinreisen, zu viel essen und trinken, Konsum-Beschäftigung, Zeitschriften und Filme anschauen, Computer-Spiele oder Zusammen-Sitzen und sinnlose Gespräche führen...

Erkenne wer du bist und alle Probleme lösen sich

Die Antwort auf die Frage wie wir uns von Einsamkeit, von dem Gefühl des Allein-Seins befreien können finden wir in der Erkenntnis wer wir wirklich sind und welchen Sinn unser Erden-Daseins hat. Wer sich selbst nicht kennt, wird sich selbst in mitten vieler Menschen, egal ob er sie liebt oder nicht, unter der Oberfläche seines äußeren Gehabens einsam fühlen.

Um eine Orientierung zu bekommen, sollten wir uns vorerst fragen: Wer in meinem Bewusstsein fühlt sich einsam, verlassen, unverstanden, unsicher, schuldig oder minderwertig? Es ist unser „kleines Ich“ unser Ego. Dieses Ich ist ein Phantasie-Gebilde. Es existiert nicht wirklich. Es setzt sich zusammen aus einem Bündel von Gedanken, Erinnerungen, Verhaltensmustern und Gefühlen, mit denen sich unsere Seele identifiziert. Das „Ego-Ich“ besteht aus Erinnerungen an unsere Vergangenheit, was wir damals gedacht, geglaubt, gewünscht, uns eingebildet haben, was wir tatsächlich oder vermeintlich erlitten oder erreicht haben. Es besteht aus den Hoffnungen, Wünschen und Ängsten betreffend unsere Zukunft.

Seinen Ursprung hat dieses Ego in der Identifikation mit dem vergänglichen Körper, der uns nur als vorübergehende Wohnstätte für unser Erdenleben zur Verfügung gestellt wird. Daran knüpft sich die Identifikation mit all dem, was wir gedanklich und gefühlsmäßig erlebt haben und gegenwärtig erfahren.

Was wir denken und fühlen ist vorwiegend bestimmt durch unser Karma, unsere Erziehung, unsere Lebensumstände, unsere Gesellschaft und Kultur. Was wir gewöhnlich denken und fühlen sind wir nicht! Wie das Beispiel von Luise zeigt, kreisen unsere Gedanken um Wünsche und Sorgen, um die eigenen Schwächen und die Schwächen der anderen, um Vergangenheit und Zukunft. Die Gedanken kreisen um den Lebenspartner, um die Familie, um die Freunde. Sie kreisen darum ob wir anerkannt und geliebt werden. Unser Ego identifiziert sich mit Menschen und hängt an Menschen. Es meint, dass sein Glück von äußeren Umständen, insbesondere vom Verhalten der anderen bestimmt wird.

Sorgen oder Vollkommenheit

Luise macht sich Sorgen um die Zukunft, wer sie unterstützen und für sie da sein wird. Die Antwort darauf ist ganz einfach: „Es ist das Sein welches uns unterstützen und für uns da sein wird!“ Vertraue dieser Kraft, die uns ins Leben gerufen hat, die alles Leben und auch dein Leben ermöglicht. Ängste und Sorgen widersetzen sich dieser Kraft und schaffen in uns und um uns die Illusion von Problemen.

In Wirklichkeit ist in dieser Welt und außerhalb dieser Welt alles göttlich und vollkommen. In Wirklichkeit gibt es kein Allein-Sein oder Einsamkeit. In Wirklichkeit ist alles Eins, ist alles mit allem verbunden. Nur unser kurzsichtiges Ego sieht Trennung, fühlt sich allein und verlassen, sorgt sich um die Zukunft, leidet unter der Vergangenheit, fürchtet sich vor dem Alt-Werden und vor dem Tod.

Sich allein fühlen „schafft“ die Einsamkeit! Sich „alleins“ fühlen verbindet uns mit unserem Selbst und so mit allem Sein! Denn wir sind das Sein, das Dao, Brahman, Gott, Allah, Jahwe, - das universale Bewusstsein.

Diese „All-Einheit“ wird für uns allerdings nur dann zu einer beglückenden Realität, wenn wir davon ablassen nur nach außen auf die vergänglichen, dualen Erscheinungen, auf das Spiel der Maya zu schauen. Geh in die Stille, beende dein rastloses Denken, vergiss die Vergangenheit und Zukunft. Werde zur „reinen Wahrnehmung“! Beobachte neutral und gelassen was jetzt in dir und um dich vor sich geht. Unterlass die ständigen Bewertungen von dem was ist. Vertraue dem Schicksal – es macht keine Fehler! Die Fehler kommen nur von deinen vom Sein getrennten Gedanken.

Das Geschenk allein zu sein

Luise schreibt, dass sie: „eigentlich ganz gut allein sein kann“ und „viel Zeit für sich“ benötigt.

Allein sein zu dürfen, Zeit für sich zu haben ist ein riesiges Geschenk, besonderes in der heutigen Kultur, in der immer mehr Menschen auf beschränktem Raum zusammen leben, in einer Zeit, wo wir ständig durch diverse Kommunikationsmittel mit anderen verbunden sind und fortlaufend irgendwelchen Medien ausgesetzt sind. Für dieses Geschenk solltest du dir möglichst viel Raum schaffen! Nur im Allein-Sein können wir zu uns selbst, zu unserem göttlichen Seelengrund gelangen. Doch die meisten Menschen vermeiden tunlichst allein zu sein. Sie streben nach ständiger Ablenkung durch andere Menschen, durch Radio und Fernsehen oder irgendwelche „spannenden“ Aktivitäten.

Wer wirklich allein sein kann ist nicht gefährdet den Kontakt zu Menschen zu verlieren, ein Eigenbrötler zu werden und sich „einsam und verlassen“ zu fühlen. Für ihn wird „Allein-Heit“ zu „All- Einheit“. Beachte dasselbe Wort für zwei konträre Inhalte! So nahe liegen Glück und Verzweiflung beinander.

Mit sich eins sein

Kontaktarmut kann tatsächlich durch mangelndes Selbst-Vertrauen und Vertrauen in das Sein entstehen. So wie Luise schreibt, dass sie sich „immer verstellt, versteckt und geschämt“ hat  und „niemals wirklich ich selbst gewesen“ ist .

Wer hingegen mit der Stille, mit dem Allein-Sein (Alleins-Sein) umzugehen weiß, es schätzen und genießen kann, der gelangt zu sich selbst. Er gelangt zu seinem vollkommenen, allumfassenden, ewigen Wesenskern. Damit endet jede Tendenz sich klein oder groß zu machen, sich zu verstellen, sich zu verurteilen oder sich zu verstecken. Wer sich findet ist mit allem Sein, mit allen Menschen liebevoll verbunden. Ganz natürlich, ohne Sorge wie andere über ihn denken, wird er anderen Menschen begegnen. Allerdings wird er sorgfältig auswählen mit welchen Menschen er sich näher verbindet, in welcher Gesellschaft er sich aufhält. Und so wird er automatisch nur mit einem relativ kleinen Kreis von Menschen befreundet sein.

Angst vor der Zukunft

In die Stille zu gehen und nichts zu tun, ist das Allheilmittel um alle Sorgen und Probleme zu beenden. Das können wir besonders gut beobachten, wenn wir uns wegen anstehender Aufgaben gestresst, unter Druck oder überfordert fühlen.

Statt hektisch zu werden, geh vorerst in die Stille! Aus dem Nicht-Denken heraus erkennen wir den Wahn unserer Ängste und Sorgen. Wir erkennen was wirklich notwendig ist zu tun und was wir uns nur einbilden tun zu „müssen“. Und plötzlich fällt es uns ganz leicht, zu tun, was zu tun ist und zu lassen, was nicht zu tun ist. Wie von selbst geht uns alles von der Hand, wenn wir loslassen und geschehen lassen, wenn wir uns dem weisheitsvollen Strom des Seins übergeben.

Wer total gegenwärtig lebt und sich um die Zukunft keine Sorgen macht, der vernachlässigt nicht seine Pflichten. Er wird nicht weltfremd. Eine unsichtbare Kraft führt ihn durchs Leben, eine innere Stimme, die aus der Dimension des „Nicht-Denkens“ kommt, sagt ihm was jeweils zu tun ist. Damit lösen sich alle Sorgen auf „dass ich niemanden habe, der mich unterstützt und für mich da ist, dem ich vertrauen kann.“

Werde zum „Nicht-Ich“!

Lerne deine Gedanken und Gefühle ständig zu beobachten, so werden sie nach und nach die Gewalt über dich verlieren und du wirst das leben, was du bist: „reines, göttliches Bewusstsein – Weisheit, Liebe und Glückseligkeit – alleins mit allem Sein.“

Auf diese Weise wird sich dein Ego-Ich, die Ursache all deiner Sorgen und Probleme auflösen. Werde zum „Nicht-Ich“, zu dem was du wirklich bist. Identifiziere dich nicht mit deinem Körper, deinen Gedanken, deiner Vergangenheit, deinen Sorgen und Ängsten.

Nicht-Selbst bedeutet nicht, dass man ausgelöscht wäre oder nicht existiere. Es heißt weder egozentrisch noch auf die anderen zentriert sein, sondern einfach zentriert sein.

Charlotte Joko Beck – Zen-Meisterin

Versuche nicht aus deinem unglücklichen Ego-Ich ein glückliches Ego-Ich zu machen! Das kann nur scheitern. Werde zum gelassenen Beobachter und du wirst die Seligkeit des All-Eins-Seins erfahren. Werde zum „Nicht-Ich“. Werde zur transparenten „weißen Wolke“, die heiter und gelassen über allen erfreulichen und unerfreulichen Ereignissen sich von den Winden tragen lässt.

 „Werde zum Licht, das aus sich selber leuchtet!“

Gautama Buddha

Herzliche Grüße

Bernd